Ich habe mal meine Gedanken zu dem Thema aufgeschrieben, ist was länger geworden fürchte ich. :-?
Ich sehe das mit den Mesh-Sachen wie ein Wettrüsten. Zweifellos sieht ein neuer Mesh-Ava besser aus wie der SL Standard-Ava. Vieles ist weniger eckig, und wenn man den Ava z.B. auf einen Stuhl setzt knickt der Hintern oder die Beine nicht so weg usw. Wer einmal einen Mesh-Ava hatte, will den wahrscheinlich nicht mehr hergeben. Wenn ich allerdings sehe, dass manche Mesh-Avas ein dermaßen dichtes Polygonnetz haben, wo man im Wireframe-Modus kaum mehr durchschauen kann, wird mir übel. Weil, ein Mesh-Ava, der so gravierend vom Standard-Ava abweicht, zieht unweigerlich andere Dinge nach sich. Z.B. die Kleidung. Die soll auf dem Ava ja auch so schöne Rundungen haben und nicht doch wieder im Sitzen so komisch wegknicken. Oder das Armbündchen eines Mesh-T-Shirts sollte idealerweise genauso gerundet sein wie der Oberarm des Ava, der aus diesem Bündchen hervorsteht. Also sollte die Kleidung im Prinzip ein ebenso dichtes Polygonnetz haben wie der Ava. Dadurch vervielfacht sich dann der Polygonbedarf erheblich. Es ist eben nicht nur der Ava-Körper allein.
Viele beäugen den Ava sicherlich auch gerne herangezoomt. Man freut sich natürlich, wenn alles gerundet aussieht, weniger eckig. Und Dinge wie Sonnenbrillen und Schmuck dürfen dem natürlich nicht nachstehen. Praktischerweise für den Entwickler kommt vielleicht sogar noch hinzu, dass die Mesh-Kleidung nur vom selben Hersteller wie der Ava passt. Das nennt man dann Kundenbindung. Die Verbreitung von immer mehr unterschiedlichen Mesh-Avas führt dazu, dass eigentlich unabhängige Kleidungsentwickler jetzt neben den gewohnten drei, vier, fünf Meshgrößen plötzlich jedes Kleidungsstück nochmals für fünf oder mehr Mesh-Avas anbieten. Anbieten müssen, wenn man nicht den Anschluss verlieren will. Es wird vermutlich in diesem Bereich noch einige Verschiebungen geben, sprich Entwickler legen sich auf bestimmte Avas fest oder hören evtl. ganz auf.
Wie eingangs gesagt, das ist ein Wettrüsten. Niemand möchte wohl wieder zurück, einen Ava nutzen, der weniger Polys hat, oder Kleidung benutzen, die weniger Polys hat. Man hat sich schnell dran gewöhnt. Also wird das Ganze sich meiner Meinung nach nur noch weiter verschlimmern. Noch mehr Polys, um sich als Content-Ersteller noch mehr von der Konkurrenz abzuheben. Die Kunden sind gewöhnt, dass sie an eine Armbanduhr mikroskopisch heranzoomen können, ohne das etwas eckig aussieht. Die Armbanduhr hat echte erhabene Ziffern und modellierte Striche im Zifferblatt oder einzeln modellierte Kettenglieder im Milanaise-Armband. Dass man diese Details im normalen Betrachterabstand gar nicht sehen kann ist dabei wohl unerheblich. Es wird gemacht, weil man es machen kann, der Entwickler hat sich viel Mühe gemacht und zeigt das gern, die Kunden kaufen es, also macht man es weiter so. Alle sind zufrieden, ein Kreislauf ist geschlossen.
Ich hatte mal so ein nettes Erlebnis mit einer Demo von einer Sonnenbrille. Die war so voll von Polygonen, als sollte die Brille, wenn man sie auf den Boden rezzt, auch auf 20 Meter vergrößert noch schön glatt und rund aussehen. Diese winzigen Scharniere zwischen dem Gestell und den seitlichen Bügeln hatten alleine so viel Polygone wie andere Brillen insgesamt. Und diese Scharniere sieht man noch nicht mal von vorne, wenn die Brille da sitzt, wo sie hingehört, nämlich auf der Nase und lediglich 0,2 Meter breit. Dem Ersteller dieser Brille kann ich aus meiner Sicht attestieren, dass er/sie ein schönes Design gemacht hat, aber von effektiver Mesh-Erstellung leider keine Ahnung hat. Da wurde ein sehr hochdetailiertes Ausstellungsstück modelliert. Aber das gehört so nicht in den Handel, meiner Meinung nach. Und als Ausstellungsstück würde es falsche Erwartungen wecken. Da ist man über das Ziel hinausgeschossen. Inzwischen scheint der Hersteller nur noch 5-Minuten Demos rauszugeben, die man nur aufsetzten kann und nicht auf den Boden rezzen kann, das wird unterbunden. Wohl ein Schutz vor Raubkopien.
Technisch betrachtet ist SL wie ein Computerspiel. Die gleichen technischen Mechanismen werden benutzt um Avatar und Landschaft darzustellen. Daher gelten auch für SL dieselben Empfehlungen hinsichtlich Mesh-Komplexität, Anzahl Polygone usw., nämlich möglichst wenig von allem. Ziel ist ein Kompromiss zwischen dem was noch gerade gut genug aussieht und gleichzeitig die Ressourcen schont. Es gibt im Internet genug Quellen, die sich mit diesen Themen intensiv beschäftigen, z.B.
http://wiki.polycount.com/wiki/Tutorials. Oder schaut auch mal hier vorbei, direkt bezogen auf SL
http://pennycow.blogspot.de/. In professionellen Spielen wird z.B. darüber nachgedacht, wie man Gebäude, Räume in Gebäuden oder Berge und Felsen am besten platziert. Nämlich möglichst so, dass aus jedem Blickwinkel, den der Avatar einnehmen kann, möglichst wenig gleichzeitig von all dem zu sehen ist. Ein Gebäude im Vordergrund verdeckt dahinter liegende Gebäude, oder ein Haus erlaubt keinen Blick durch alle Fenster und Zimmer gleichzeitig und noch weiter in ein Nebengebäude usw. Man kommt nicht um eine Felsenecke und steht vor einer kompletten Stadt, sondern man sieht immer nur einen Teil der Gebäude, muss um Gebäude herumgehen, um die anderen Gebäude zu sehen. In manchen Spielen (z.B. Skyrim) haben Gebäude sogar gar keine durchsichtigen Fenster, man kann nicht in die Gebäude schauen, es wird der Innenraum erst geladen, wenn man die Tür öffnet. So wird versucht, die Komplexität der Darstellung und die Menge an Texturen und Polygonen in jeder Situation so gering wie möglich zu halten.
Meines Erachtens wird in SL dahingehend alles falsch gemacht. Es ist aber natürlich so, dass sich in SL überwiegend Leute tummeln, die keine Spieleentwickler sind, die meisten sind normale Nutzer. Daher kennen sie diese Techniken nicht und wollen sie logischerweise auch nicht lernen. Es kann keinem ernsthaft was vorgeworfen werden. Man eignet sich vielleicht die Bedienung eines 3D-Programms an, und schon werden große Meshteile gebaut. Was da polygontechnisch im Hintergrund passiert, sieht man evtl. gar nicht und es interessiert evtl. auch nicht auf dieser technischen Ebene. Damit das Mesh schön ausseieht, wird dann hier noch mal nachgerundet, hier noch mehr Polys rein, Subdivision Modifier rein, fette Texturen für jede einzelne Fläche. Bisher konnte man pro Mesh nur acht unterschiedliche Materialien/Texturen verwenden. Das soll ja auch bald durch SL aufgehoben werden. Prima, dann können noch mehr fette Texturen auf noch mehr Flächen gepackt werden. Ich sehe schon Fingerringe mit zwanzig Texturen, jede dann 1024 x 1024 Pixel groß. Das wird wunderbar. Man bedenke nur die vielen Möglichkeiten (die Benutzererfahrung kaputt zu kriegen).
Ich habe mich als Hobbybastler ohne Erfahrung dann auch selber mal an einer Mesh-Brille versucht, das Ergebnis gibt es schon länger als Freebie im MP von meinem Alt-Ava Kelith. Ich bin da nicht stolz drauf, ist ein simples Design, ohne HUD. Man muss Resizen und Colorieren selber im Baumenü machen. Aber es gibt nette Rezensionen und Leute schätzen die Brille gerade weil sie eben kein Polygonmonster ist und so den ARC Wert nicht in die Höhe treibt. Ich bin jedoch überzeugt, dass man mit so einer Brille keine Chance hat gegen die Übermacht der überploygonisierten Modelle, weil sie im Direktvergleich, zumal wenn man ran zoomt, nicht dagegen ankommt. Kunden sind in der Regel auf das fixiert, was sie sehen.
Der Kunde ist das eigentlich entscheidende Bindeglied. Der Kunde hat die Macht die Dinge zu ändern. Zumindest theoretisch. Der Kunde könnte sich mehr informieren über Mesh, Polygone, Renderzeiten. Der Kunde könnte den Entwickler mit Fragen löchern. Der Kunde könnte sich fragen, ob er das Kleidungsstück mit 30.000 Polys braucht oder ob das mit 5.000 Polys nicht genauso gut aussieht. Er könnte Armbanduhren kaufen, die auf bewegte Zahnräder und Zeiger und teils aufwändige Skripte verzichten, weil am Handgelenk getragen eh keiner den Unterschied sieht. Das ist ja im realen Leben nicht anders. Der Verbraucher könnte vieles ändern. VW hat manipuliert bei Abgastests? Wenn keiner mehr VW kaufen würde, wäre VW ganz schnell weg und die anderen Hersteller wären vielleicht gewarnt und vorsichtiger. Aber der Generalverzicht auf ein Produkt oder eine Marke passiert eben nicht. Es wird nach einer kleinen Schwankung der Umsätze dann doch wieder gekauft wie zuvor. Und in SL ist das nicht anders. Selbst Leute, die jetzt mitbekommen haben, dass Mesh-Avas teils traumhaft hohe Renderkosten haben und das es bereits Viewer gibt, in denen man alle Avas mit Renderkosten höher als ein einstellbarer Wert X einfach einfarbig dargestellt werden können, werden diesen Ava nicht aufgeben. Das liegt auch vielleicht daran, dass man selber die Auswirkungen gar nicht so mitbekommt. In der Summe aber wundern sich gemeinschaftlich alle Leute auf einer gut besuchten Sim über den Lag und diskutieren gemeinsam, warum alles so lange zum Laden braucht und so ruckelig ist. Klar, als Schuldiger wird meist SL ausgemacht, SL zickt mal wieder rum. Jeder einzelne Ava allein ist nicht der Grund, aber vielleicht die Auswirkungen von 40 davon auf einem Haufen.
Die Leute fragen sich zurecht, warum sie sich für derlei technischen Kram überhaupt interessieren sollten. Sie sind "Verbraucher" und keine "Entwickler", mal überspitzt formuliert. Nur, wenn einige Entwickler inkl. SL sich ja offensichtlich schon nicht um die technischen Details kümmern wollen bzw. nicht über deren Folgen nachdenken bzw. alles ggf. nur noch schlimmer machen, wer kümmert sich denn dann? Wer zieht jetzt die Bremse?