Hallo Dew und alle anderen,
wäre
SL „nur ein Spiel“, wie sie es schrieben, bräuchten wir diesen Dialog gar nicht zu führen, denn dann wäre die Sachlage eindeutig: Wir könnten uns über den Hersteller aufregen, den Händler, der unserer Tochter das Spiel ausgehändigt hat, könnten die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien einschalten, das Ding würde auf dem Index landen und das Problem wäre gelöst. Leider ist Second Life anders, eben kein Spiel, denn dazu fehlt ein wichtiges Merkmal: Das Ziel, ein möglicher
Gewinn, ein besiegter Endgegner, ein Ende. Ich sehe
SL als ein dynamisches Programm, einerseits ein Abbild der Wirklichkeit, andererseits auch ein eigener Mikrokosmos mit eigenen Gesetzen, die für Außenstehende manchmal nicht sofort ersichtlich sind.
Genau hier hat eigentlich der Hauptaufreger in der Diskussion seine Wurzeln: Der WDR als außenstehendes Medium kommt, pickt sich die Rosinen (in diesem Fall mal ein kleines Mädchen auf Abwegen) raus, geht wieder und veröffentlicht eine Reportage im Fernsehen. Leider, und hier verstehe ich den Unmut in der Community, ist alles, was das TV nach den ganzen Lobeshymnen im vergangenen Sommer über
SL brachte, immer negativ konnotiert und schert, nicht mal unbedingt immer bewusst, alle SLer über einen Kamm. Ein kleines Beispiel: Vor einigen Monaten eröffnete das KadeWe seine virtuelle Niederlassung, inkl. Radioübertragung. Der Reporter hatte nicht das glücklichste Händchen und sprach mit einem Mann, der zwar noch nie in
SL war, aber „schon so einiges über die kleinen kranken Männchen da im Spiel“ gehört hatte. Woher er
SL kennt? „So vom Hörensagen her…“ sagt der Mann und meint damit eigentlich die Presse, die seine Sicht der Dinge über „dieses Spiel da“ in den letzten Monaten prägte, denn das „Internet, nein, das brauch ich nicht.“
Ich mag mal eben bei der Gelegenheit die Öffentlich-Rechtlichen loben, im Großen und Ganzen liefern sie gute und sehenswerte Arbeit ab, zumindest im Nachrichten- und Dokusektor, zum Rest des Programms kann ich nichts sagen, da ich es mir nicht anschau. Umso frustrierender ist es dann, wenn selbst bei den Öffentlich-Rechtlichen anscheinend Sensationsgier und Quote im Vordergrund stehen müssen. Das Thema an sich, Jugendschutz und Altersverifikation, sollte in meinen Augen noch viel häufiger, aber bitte nicht ständig wertend, sondern rational-produktiv thematisiert werden, in allen Bereichen des alltäglichen Lebens und nicht nur, wenn das Boulevard nach Blut schreit. Ganz ehrlich, ich möchte heutzutage kein Kind mehr sein. Auch wenn zwischen mir und den heutigen 13 jährigen nur ein paar Jahre liegen – die Kleinen leben doch in einer völlig anderen, auf jeden Fall viel heftigeren Welt. Doch anstatt dass wir ihnen diese Welt erklären, schreien wir nach Bootcamps, härteren Strafen, geben einem „Zappelphilipp“ eher ein wenig Amphetamin als denn Anregungen für seine unterforderte Intelligenz und wundern uns, warum der Migrantennachwuchs sich nicht so recht integrieren lässt. Das Fernsehen nutzt die Lage für Sensationsmeldungen aus, anstatt seine meinungsbildende, im Ursprung auch mal bildende Funktion richtig auszuspielen. Wie viele kinder- und jugendgerechte Formate werden angeboten? Wirklich interessante wohl derzeit keine. Wie viele unterschwellig jugendgefährdende? Unzählige. In meinen Augen schadet eine Stunde „GZSZ“ oder „Gülcans Traumhochzeit“ dem Nachwuchs genauso wie eine unreflektierte Auseinandersetzung mit der menschlichen Sexualität via Internet oder Second Life. Denn ob wir uns nun einen verbal degenerierten, sozial nicht tragbaren Trottel heranziehen oder einen sexuell gestörten Freak – das Ergebnis ist doch im Endeffekt das gleiche.
SL ist eine spannende Sache, neu, unerforscht, ein weißer Fleck auf der Landkarte und bietet allerlei Zündstoff. Schade nur, dass der breiten Masse das zweite Leben immer und immer wieder als Babylon präsentiert und weniger schöne Dinge genüsslich ausgebreitet und somit 40.000 Menschen allein in Deutschland potentielle Pädophilie, Sektentum, Sodomie oder andersartige Anomalien unterstellt werden. Auf Dauer nervt es den ganz normalen User, sich ständig im Freundes- und Bekanntenkreis für sein Hobby
SL rechtfertigen oder gar entschuldigen zu müssen, womit es voll verständlich wird, dass gerade hier in einem fachspezifischen Forum die Emotionen hochkochen und sich viele Personen ungerecht behandelt fühlen.
Zurück ihrem Beitrag. Sie schrieben:
Thema des Films war, einen Teil der Second Life – Realität aufzuzeigen. Hinzu kommt unseres Erachtens auch: Die Frage nach der Verantwortung ändert doch nichts an der extremen und brutalen Welt, die dort aufgezeigt worden ist.
Stimme ich ihnen voll und ganz zu, die Frage nach Verantwortung ändert nichts. Nur, ist die Welt wirklich so extrem und brutal? Sie ist es doch nur dann, wenn ein User explizit danach sucht. Der Nutzer muss aber durch irgendeinen Trigger präfiguriert sein, damit er überhaupt auf die Idee kommt, sich zu prostituieren, zu filetieren oder sonst wie abwegig handelt. Ohne gezielte Suche kein jugendgefährdender Inhalt. Es wäre weitaus eleganter und sinniger gewesen, hätten Sie in der Reportage klar herausgestellt, dass es sich um einen kleinen, sehr kleinen Teil der Welt handelt, der aber keinesfalls Alltag in Second Life ist. Sie generalisieren hingegen doch recht stark. Schade.
Was den Zugang einer 13jährigen, mit all den dazugehörigen Detailfragen, betrifft: Fakt ist, es dem Mädchen gelungen einen Zugang zu bekommen.
Auch hier kann ich nur nicken. Dass das Mädel Zugang zu einer Oberfläche für Erwachsene bekommen konnte, ist eindeutig nicht in Ordnung und muss zukünftig unterbunden werden. StudiVZ, youtube und Co, pauschal eigentlich das gesamte Web 2.0., von den 13 jährigen ja extrem genutzt, müssen dann aber schnellstens nachziehen, denn auch hier lässt sich mit ein wenig Geschick und Wissen jegliches brisantes Material von Porno bis Naziverherrlichung finden. Andererseits, wie viele Minderjährige interessieren sich für SL? Wenn man sich rumhört, so gut wie niemand. Vom reinen Inhalt her ist
SL nicht das, was die 12-jährige Jaqueline oder den 14-jährige Kevin anzieht, nackte
Avatare hin oder her. Wer suchet, der findet, aber im Allgemeinen vertreibt sich diese Altergruppe die Zeit eher woanders, digital oder analog. Dementsprechend hätte man sich die Ressourcen für diese Reportage schon von vorneherein sparen können, die Gefahr besteht zwar in der Theorie, aber ich wage mal zu bezweifeln, dass in der Realität eine nennenswerte Anzahl von Kindern das
Grid stürmt, mit nichts anderem im Kopf als Sex, Sex und vielleicht noch Gewalt. Ein wenig erinnern mich derlei Geschichten an die Drogenparanoia während meiner Grundschulzeit. Da gingen Elternbriefe rum: vor den Schulen ständen Dealer und würden uns armen Kindern LSD-getränkte Abziehbildchen unterjubeln wollen, man müsse auf das Schlimmste gefasst sein. Jahre später stellte dann irgendwer fest: Das ganze war nichts anderes als ein Urban Myth, Sozialparanoia verursachend, eine Geschichte, die mir allerdings damals Angst und meiner Mutter schlaflose Nächte bereitet hat.
Fakt ist, und das möchte ich gerne besonders hervorheben:
Linden Lab muss schleunigst ein funktionierendes Jugendschutzsystem, auf Deutschland und seine Bedürfnisse nach Regeln, Ordnung und Gesetzen zugeschnitten, installieren und durchsetzen, damit
SL endlich endgültig aus der Schusslinie gerät und sich wieder in Ruhe weiterentwickeln kann.
In der Redaktion haben wir diesen Aspekt ausführlich diskutiert und wollen daher noch weiter gehen: Was würde sich an der „Qualität“ der im Film aufgezeigten Welt ändern, wenn das Mädchen 16 oder 18 Jahre alt wäre?
Der Film wäre nicht gesendet worden, weil das Problem nicht existent wäre. Mit 18 kann man dem Mädchen geistig durchaus zumuten, in
SL unterwegs zu sein. Sollte sie sich dann entscheiden, als Escort tätig zu sein, ist sie entweder Kapitalist oder neugierig oder beides, aber sie verletzt keine Gesetze. Höchstwahrscheinlich wird sie sich aber eh anderen Dingen inworld zuwenden, dumm von der Männerwelt angequatsch